Gegangen um zu bleiben
Vor
einigen Tagen gestand mir eine gute Bekannte unter dem Einfluss von
zwei, drei abendlichen Gläsern Rotwein, wie sehr sie insgeheim noch
immer an ihrem Ex-Freund hinge. Auf meine Nachfrage hin wurde
deutlich, dass wir dabei keineswegs über denjenigen sprachen, den
sie zu Beginn des Jahres für ihren aktuellen Partner verlassen
hatte, sondern über ihre Jugendliebe – und somit über eine
Beziehung, die beinahe zwanzig Jahre zurückliegt.
Wir
sinnierten daraufhin über die Frage, wie es wohl kommt, dass uns
einige Menschen derart unter die Haut gehen, dass sie die Bühne
unseres emotionalen inneren Theaters nach einem ersten Auftritt nie
mehr verlassen (sich höchstens zeitweise hinter die Kulissen
zurückziehen oder als Souffleure im Verborgenen am Werk sind)?
An
der Dauer und Ernsthaftigkeit einer Beziehung kann es nicht liegen –
ich kenne Menschen, die ein halbes Leben lang einer kurzen Affäre
nachtrauern bzw. vielmehr dem, was daraus alles hätte werden können,
in der Parallelwelt ihres ganz persönlichen Konjunktivs. Und ich
kenne wiederum andere, die sich nach gescheiterten Ehen, aus denen
Kinder hervorgegangen sind, gefühlsmässig so erfolgreich sortiert
und neuorganisiert haben, dass das liebende Familiengefüge trotz
verloren gegangener Paarbeziehung weiterhin zu bestehen
vermag.
Woran liegt es denn nun aber, dass uns bestimmte
Menschen offenbar so ungemein in Mark und Bein fahren, dass unsere
Herzen sie schlicht nicht mehr freigeben wollen oder können? Im
Gegensatz zu anderen, zu denen sich der Kontakt irgendwann verliert
und die wir im Laufe der Zeit hinter uns lassen, wie wunderbare
Ferienepisoden in fremden Ländern, von denen federleicht
schwelgerische Erinnerungen bleiben oder aber wie zwar hässliche
Narben hinterlassende, aber dennoch überstandene Krankheiten... hat
es mit der Stärke der empfundenen Liebe zu tun, mit Schicksal,
Timing oder schlicht mit uns selbst?
Ich bin mir nicht sicher,
ob Antworten auf derlei Fragen wirklich existieren. Und ob es
schlussendlich überhaupt eine Rolle spielt. Denn es ist doch so: bei
allen Menschen, die ich in meinem Leben bisher geliebt habe – sei
es im Rahmen von Beziehungen oder Freundschaften – habe ich immer
auch einen kleineren oder grösseren Teil meiner selbst gelassen.
Diese Art von Dingen kann man im Falle einer Trennung oder
schleichenden Entfremdung nicht zurückfordern. Und ich hätte es
auch nie gewollt. Ebenso wenig, wie ich im Umkehrschluss all die
gelebten Gefühle, geteilten Gedanken und gemeinsamen Erinnerungen
würde hergeben wollen, die mir von anderen geblieben sind – völlig
egal ob sie heute noch aktiv Anteil an meinem Leben nehmen oder
nicht.
Und so danke ich an dieser Stelle auch und gerade all
jenen einstigen Lieben, deren Wege sich irgendwann im Laufe der Zeit
von den meinen abgezweigt haben, an die mich aber noch heute und für
alle Ewigkeit Erinnerungen binden, schöne und lehrreiche, sonnige
und traurige, bunte, lebendige, gefühlte Erinnerungen. Wo immer ihr
auch seid und was immer ihr gerade tut – ich hoffe, es geht euch
gut. Denn ohne euch wäre ich nicht die Emma, die ich heute bin. Was
stattdessen wäre – nun, wer weiss das schon…